(Auszug aus
den Gewinner-Beiträgen im Literaturwettbewerb "Tierwelten")
Heide Niemann-Rabe
Albtraum meiner Kindertage – Terry, der
Foxterrier
Endlich hatten es meine beiden älteren Brüder geschafft.
Unsere Eltern schienen davon überzeugt, dass ihre beiden Großen
die besten und zuverlässigsten Hunde-Herrchen sein würden,
die die Welt je gesehen hatte. So kam eines Tages Terry ins Haus.
Genauer gesagt, hatte er einen ganz besonderen Auftritt. Unser
Vater kam von der Arbeit, rief uns ins Wohnzimmer und hockte sich
dort auf den Fußboden. Erstaunt standen wir um ihn herum
und beobachteten fassungslos, wie aus seiner Aktentasche ein winziges
schwarz-weiß gemustertes Hundebaby rutschte, das offensichtlich
einen traumatischen Schock bekam, als es die große Familie
sah, die sich nun noch um Mutter und Oma vergrößert
hatte. Der Kleine fiepte jämmerlich, zitterte am ganzen Körper
und hinterließ das erste Pfützchen auf dem Teppich.
Hurra, wir hatten einen Hund! Und was für einen!
In einem unserer Hundebücher steht über diese Rasse: „ Eher
ein Tänzer als ein Marschierer, streitlustig, arrogant, elegant,
verwirrend, tollkühn, aggressiv, all das ist der Fox-Terrier,
dieser Wirbelwind von einem Hund…“
Genauso habe ich ihn in Erinnerung. Nur, Hundebücher gab es
nicht in unserer Familie. Und unsere Eltern hatten keinerlei Kenntnisse über
Hunderassen, Pflege und Haltung von Hunden. Wenige Jahre nach Kriegsende
gab es existenzielle Sorgen und Probleme, sodass es auch nicht
verwunderlich war, dass Terry in unserem ländlichen Vorort
einer Ostseestadt als kleiner Exot und Einzelgänger angesehen
wurde. Die Erwachsenen hatten Mühe, wegen Rationierung und
Lebensmittelkarten ihre Familien über Wasser zu halten. So
hatte ein Hund, der lediglich als Spielkamerad für Kinder
gehalten wurde, Seltenheitswert.
Unser Vater, er betrieb ein kleines Werkzeug- und Eisenwarengeschäft,
hatte von einem Kunden als Gegenleistung für ein paar Nägel
das Hundebaby übernommen. Er hatte nicht geahnt, dass er mit
dem kleinen Glatthaar-Foxterrier einen Jagdgebrauchshund erwarb,
der vor allem die Aufgabe hatte, Füchse aus dem Bau zu treiben,
kleine Wildtiere aufzustöbern, dem Jäger zu helfen beim
Suchen und Bringen – auch aus dem Wasser. Sie befreien Ställe
von lästigen Mäusen und Ratten… sind also sehr
vielseitig verwendbare Gebrauchshunde. Dazu wurden und werden sie
gezüchtet, diese wendigen, robusten, geduldigen und ausdauernden
Wirbelwinde.
Können Sie sich vorstellen, wie es solch einem Hunde-Kerlchen
ergeht, der in eine Familie integriert werden soll, die aus vier
Erwachsenen und drei Kindern besteht? Niemand hatte Jagdambitionen – außer
Terry. Es gab keine Füchse in unserem Garten, nur Maulwürfe
und eingezäunte Hühner, die für ihn tabu waren.
Seine Gene aber trieben ihn. Er wollte rennen, jagen, buddeln…
Vorerst machte Terry allen Welpenunsinn in doppelter Menge und
brachte unsere Eltern so manches Mal an den Rand eines Nervenzusammenbruchs.
Während meine Brüder in der Schule waren, langweilte
sich Terry. Mit mir hatte er nicht viel im Sinn – besser:
ich nicht mit ihm. Nachdem er in einem unbewachten Moment meinen
geliebten Teddy in seine Einzelteile zerlegt und die Füllwolle
durch das ganze Haus geschleppt hatte, mich mit seinen spitzen
Welpenzähnchen gepiesackt und nicht bereit war, sich in meinem
Puppenwagen spazieren fahren zu lassen, hatte ich es bald aufgegeben,
mich ernsthaft mit dem kleinen Wildfang zu beschäftigen. Sollten
das doch die Brüder tun. Solange sie aber in der Schule waren,
hatte unsere Mutter ihre liebe Not mit ihm. Er machte sich im Haus über
liegen gelassene Socken oder Zeitungen her, die danach selten noch
zu gebrauchen waren, oder zerknabberte Holzspielzeug und ähnliches.
Terry suchte Beschäftigung und konnte nicht begreifen, weshalb
er für seine ‚guten Taten’ ausgeschimpft oder
in ein Kabuff eingesperrt wurde, das wir Kinder die ‚Zementstube’ nannten.
Von diesem winzigen Raum aus ging es sowohl in den Keller als auch
zum Hof – und war Abstellraum für die Schuhe der Familie.
Dass er sich dort mit besonderer Freude – oder war es Frust,
Neugier, Langeweile? – mit unserer Fußbekleidung beschäftigte,
ist aus heutiger Sicht zu verstehen. Damals aber, in den schwierigen
Nachkriegsjahren, in denen Schuhe Mangelware waren, hatte niemand
Verständnis für Terrys Freizeitbeschäftigung.
So wurde die kleine Nervensäge von unserer Mutter kurzerhand
in den Garten geschickt. Wir hatten einen gepflegten Hausgarten,
mit Rasen, Blumenrabatten und einer Gemüseecke – neben
Hühner- und Kaninchenställen – der Stolz unseres
Vaters. Dies imponierte dem kleinen Kerl in keiner Weise. Er suchte
sich eine Arbeit. Und die bestand meist darin, imaginäres
Kleinwild aufzustöbern. Während die vom Vater gehassten
Maulwürfe ihre Hügel auf dem Rasen hinterließen,
ging Terry in die Tiefe und buddelte gewaltige Erdlöcher,
um die Schwarzpelze aufzuspüren. Es war ihm dabei völlig
egal, ob er mit seinen Erdbewegungen die Blumenrabatten verwüstete,
Gemüse zertrampelte oder den geliebten Rasen ruinierte. Vater
fluchte, Mutter ebenfalls, während sie den verdreckten, aber
zufriedenen Terry in einen Waschzuber steckte und sein hartes,
struppiges Fell säuberte. Erst dann, duftend, sauber und abfrottiert,
durfte er wieder in die Wohnräume, einschließlich der
Betten unserer Brüder, was ihm ansonsten streng verwehrt wurde.
Armer Terry, kann ich heute nur sagen. Du warst am falschen Ort,
in der falschen Familie. Wie solltest du wissen, was du wann darfst – und
was wann nicht. Du hättest einen verständnisvollen, aber
energischen Rudelführer gebraucht, der dir deinen Platz im
Menschen-Hund-Rudel zuweist. Und zwar so, dass du es auch begreifst.
Das setzt Konsequenz und Geduld voraus, vor allem aber Wissen darüber,
was artgerechte Behandlung bedeutet. Wie solltest du „artig“ sein
können, wenn deine Rudelmenschen nicht einmal wussten, was
typisch für deine „Art“ war?
Und doch – da bin ich mir sicher – liebte Terry seine
Familie und dieses Leben. Er kannte ja auch kein anderes.
Unmerklich war Terry erwachsen geworden. Er war fast 40 Zentimeter
groß und hatte einen gut proportionierten, athletischen Körperbau.
Sein Bewegungsdrang war ungebrochen und er schien glücklich,
wenn er mit den Brüdern und ihren Spielkameraden herumtoben
konnte. Fußballspielen war seine Leidenschaft. Alle verschossenen
Bälle holte er zurück und war außerdem der beste
Torwart für die Jungs. Er liebte Bälle und begriff, dass
kaputtbeißen verboten war.
Aber noch etwas anderes beobachteten wir: Terry war musikalisch.
Mein jüngerer Bruder spielte gerne und gut Mundharmonika.
Terry saß dann vor ihm, hörte konzentriert zu, den Kopf
zur Seite geneigt, und dann begann er zu singen. Sein Jaulen war
herzzerreißend. Dazu legte er den Kopf in den Nacken und
ließ seinem Gesang freien Lauf. Anfangs dachten wir, sein
feines Gehör könne die Töne der Mundharmonika nicht
ertragen. Aber bald merkten wir, mit welcher Freude er sich in
Positur setzte, wenn unser Bruder die Mundharmonika in die Hand
nahm. [...]
Volker Teodorczyk
Hierarchie
Er liegt auf einem Fenstersims
wie Cäsar einst auf weichen Kissen
und auch sein Blick erinnert vage
an Saus und Braus in Rückenlage
die Dekadenz im müden Blick
gepaart mit träger Ignoranz
sorgt für die nötige Distanz
Doch plötzlich wird sie überbrückt
und mit geschmeidig glatten Gesten
gut einstudiert und Nähe suchend
schon fest ein Streichelmaß verbuchend
ist er mit einem kurzen Satz
an seinem zweiten Lieblingsplatz
Es ist der Hausfrau Domizil
sie zelebriert mit großer Ruhe
das Öffnungsritual von Dosen
befüllt sein Schälchen, kurz liebkosen
das Fragen wird nun eingestellt
warum er sich ein Frauchen hält
Magnus Tautz
Nicht im Bild
Jemand hat die Erde angesteckt
mit falschen Nachrichten, in jedem
Feuer lodern falsche Zahlen, Tiere,
als hätten sie kein Recht, erwähnt zu
werden. Auch nicht im Bild der Mensch,
der sich suchend umdreht und fragt,
wer das war. Versprechen gehen
um die Welt, gestählte Überzeugungen,
die einen Moment den Raum ausfüllen,
bis Brasilien reichen, bis in den Busch
von Australien. Aber betretet sie langsam,
nicht hektisch die Brücke aus Wörtern,
man weiß, wie zerbrechlich das sein kann.
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