Die Gewinner des Gedichtwettbewerbes

"Werte, Kultur und Wirklichkeiten" 2005

 

4.Preis

Brigitte Breidenbach

Licancábur
(im Norden Chiles)

Licancábur - du lebender Berg
Jahrtausende alter
heiliger Berg der Inkas
stiller Zeuge versunkener Zeiten
man nennt dich
den ‚Berg der Kalten Sonne‘
wo die Götter wohnen
erzähl uns deine Geschichte
die uralte verwehte Geschichte
von singenden Pan-Flöten
die ihre melancholischen Lieder
ü ber deinen Gipfel hinweg
in die Täler schicken
in die Täler der Inka-Dörfer
wo Kinder unbeschwert singen
und die Alten im zauberischen Tanz
ihre Göttern feiern
Licancábur - du lebendiger Berg
im Federwolkentanz
dir zu Füßen stolzieren Flamingos
durch die eiskalten Seen
Geysire sprudeln dampfend
Tropfengesänge aus karger Erde

.

Brigitte Breidenbach

v e n u s

dem bogen in meiner hand
entfliehen
leuchtende gedankenpfeile
zu dir
wortfetzen geh‘n im flug
verloren die der wind
behutsam spielend fängt
federnd erreichen die
pfeile das nachtdunkel und
ritzen bizarre traumgebilde
in den
feuerfarben
schimmernden
luftozean
- liebesgrüße ins nirwana

.

 

5.Preis

Helga Moosmang-Felkel

Weisse Tigerin

als peking im glitzerschnee lag
traf ich meine weisse tigerin
ihr haarloser körper
schimmerte im teich der
roten opiumblüten
während kuan yin meditierte.
wir flogen auf violetten
seidenroben in spasmen der lust.

im moschusduft ergriff mich
eine zärtlichkeit, die mich erschreckte.
ich wich zurück
in grausamkeit
wo sie mich suchte

doch dunkle schriftzeichen
brannten auf meiner haut,
wanden sich in drachenspuren,
grünten wie jade
bis ich den weg freigab

der scharlachroten liebe.

.

6. Preis

Brunolf Metzler

Grundlagenforscher


So gehen sie denn hin und sie vermehren
und präzisieren und zerlegen immerfort,
und forschen hinter jedem abgelegnen Ort,
ob die finale Kammer auszukehren.

Und immer wieder fällt ein letztes Wort,
und stets auf’s Neue glänzen große Lehren,
Gesetze, Postulate, Nobelbeeren –
was älter ist als wir, fällt über Bord.

Wir sehen wie die Sterne um sich drehen
und bleiben ganz getröstet hier auf Erden;
wir grasen mit den ahnungslosen Herden
und fühlen gern die Erde in den Zehen.

.

7.Preis

Michael Lobisch-Delija

Abend in San Francisco

[August 1997]

Noch am Abend trete ich vor die Tür des Hotels
sofort strömt mir der Wind um die Schläfen
und gebannt hänge ich im Getriebe
der 2. Straße. Die gebrochene Abendsonne
wirft Waffelmuster zu Boden

Der Bell-Captain hat den imperativen Lockruf
zwischen den Zähnen. Die metallene Flöte
trägt weit und lässt weiße Limos herbeischweben.
Ich gehe zu Fuß. Durch Chinatown
gelange ich schwitzend zu Fisherman‘s Wharf

Seelöwen stinken an Pier 39 zu Hunderten
gegen den Wind. Touristen ohne Geruchssinn
staunen zu Tausenden
Alcatraz blinkt hinter den Möwen
und kreuzenden Seglern

Bettler! Sie überfluten die Stadt -
ihr Verhältnis zu Schwulen ist tausend zu eins
oder größer. Verloren, vom Leben zerstörte Gesichter
lungern sie überall
Der Einkaufswagen, an dem sie hängen
trägt ihre ganze Habe. Für Hoffnungen
bleibt keine Ablage

Einige schmelzen dein Gewissen
bis auf den Grund. Andere
hadern im Selbstgespräch

Wenn sie dich anblicken
flehen sie nicht. Erloschen
streunen sie weiter wie vergessene Tiere...

Sie lehnen wie Unrat. Auf den Bänken
verschmelzen manche mit den Schatten der Bäume
Niemand, der sie hetzt. Gleichgültig
hasten die Geschäftigen durch ragende Blocks
von deren Zinnen Stars und Stripes wehen

Die Abendsonne
spiegelt sich in den gläsernen Flächen
Oben ist Licht. Inmitten der Schluchten
kehre ich heim in mein Refugium
Man hält mir die Tür auf

.

Michael Lobisch-Delija

Erwachende Erde

Wenn unsere Erde erwacht
und die Augen aufschlägt
wölbt sich zuerst das Himmelsblau

Schon der erste Atemzug
läßt den Sturm über die Polkappen fegen
und wenn sie gähnt, wie Frau Holle
knurrt der Andreasgraben

Später beim Zähneputzen
toben Blizzards über Nord-Amerika
und beim Gurgeln --
nach uns, wie immer, die Sintflut ...

Aber was nun, wenn sie sich aufrappelt
und mangels Wald
zum Joggen ins Universum aufbricht --?

 

8.Preis


Anne-Marie Müller

Jener Platz mit den Skatern
im April
in Paris
nein, kein Film
mit Tango und Pont Neuf
und Happy End an der Seine

April und Paris
und Skater in rutschenden Hosen
der Knall ihrer Bretter
flirtende Tauben
und ja, ihr Dreck
Platanen im ersten Grün
und heimlich Gebete
zum Bon Dieu zu Allah
zu Vishnu zu Buddha
und Adonai
vielleicht auch Flüche
wenn der Sprung misslingt
oder das Leben

April und Paris
und wir auf der Bank
sonnengefleckt
bei Gâteaux und Brot

o wär es ein Film

 

9.Preis


Harald Woschitz

Haltestelle Latdorf

Am frühen Vormittag rücken sie ein
Hinter dem strategisch unwichtigen Betriebsschuppen
Gleich neben dem Kiosk an der Haltestelle
Taktisch geschickt hinter Bierflaschen
Verschanzt entwickeln sie Marshallpläne für die
Zone Die Frontlinie hat sich verschoben
Die Spuren verwischen sich
Es beginnt zu regnen

Am Mittag kommen Mitstreiter aus der Sortieranlage
Dazu Die wissen Dass die Disteln blühen, blau
Doch am Straßenrand keine Deckung bieten
Die mit den Bierflaschen
Nicken ist die Form des Widerstands Die von
Draußen kommen wissen Was ihnen blüht
Sind nicht Disteln Nicht die Landschaft

Und hinterm Ort
Ist der Asphalt
Der nass ist
Und nicht mal glänzt

 

10.Preis


Lore Tomalla

Unbemannt

Ein Miniweltall treibt
ohne Satellit
durch Raum und Zeit

ist weder Planet
noch Zentralgestirn

hat eine Taschenlampe auf der Stirn
empfängt und sendet
Morsezeichen des Alls

ein ich ohne du
kein wir