Die Gewinnergedichte des "Lyrikwettbewerbes 2006"


1. Preis

Monika Jarju

Die Sonne brennt schwarz

Für Doudou

An jedem Tag der afrikanischen Woche
brennt die Sonne schwarze Hoffnung
in die Teeträume junger Männer unterm Baobab
voller Minze und stark duftend nach Europa
Unheilvoll gleiten ihre Boote über die Wellen
Doudou kam bis in die Türkei

An jedem gewöhnlichen Markttag in Brikama
sinken überladene Schiffe in den Tagesnachrichten
ertrinken Afrikaner lautlos auf Bildschirmen
Im Mittelmeer trommeln Fische den Herzschlag
der Toten ans Ufer der Ahnen
Unzählige Körper beben im Morgenlicht am Strand
unter weißen Touristen auf der ewigen Urlaubsinsel
Noch fliegen bunte Vögel über die letzte Grenze
Zwischen den Kontinenten wachsen
schon die Einflugschneisen zu

Angekettet flog Doudou im silbernen Vogel
in das staubige Einerlei seiner Tage
Wie viele müssen noch
ihr trockenes Herz durch die Wüste tragen
klagen die Trommeln an die Korrupten
die Afrika gegen ein Sandkorn vertauschten

2. Preis

Werner Pelzer

Brent Spar

Ziffern, die sich an einen Namen
klammern. Zu Zahlen. Über chemische
Verbindungen, technische Leistungen.
Die erschrecken wollen. Und Orte:
Standorte. Versenkungsorte.
Koordinaten. Hebriden.

Niemand dort, den ich kenne: das heisere
Korn. Erste Strohfeuer auf den Feldern.
Der Nebel auf dem stillen Kanal.
Und die Meilensteine am großen Fluss,
der aus den Bergen kommt und ins
Meer fließt. In jenes Meer der Orte,
Muscheln, Algen.

Irgendwo da draußen im Blauen.
Ein roter Punkt. Von dort
kommen jetzt Botschaften.
Ü ber aufgeregte Kanäle, Attacke
und Rückzug, abgekämpft.
Später vielleicht werden andere
folgen. Ein Anwurf von Gelb im
Laub. Die Rücklichter des Zuges.

3. Preis

Hans-Jürgen Gaiser

Jäher Tod in Graz

Ignaz Kratz aus Hart bei Graz
spielt für sein Leben gerne Jazz
in Graz am Jakominiplatz.

Auf einer Bank küßt seinen Schatz,
der ihn umarmt, ein Herr mit Glatz’.
Vor dieser Bank da hüpft ein Spatz.

Hinterm Gebüsch lauert die Katz,
springt plötzlich vor in einem Satz,
und frißt den Spatz ratz-fatz.

Anmerkung:
Der Vers stammt nicht von Ringelnatz!

4. Preis

Franziska Rülke

Isidor

Isidor, der Elefant
las vergangene Woche Kant.
Seitdem sieht er in den Steppen
nur noch bildungslose Deppen.
So ist Edelgard, das Gnu,
eine richtig dumme Kuh.
Oder Kalle Krokodil,
liegt da rum und macht nicht viel
(welch ein nutzloses Fossil).
Selbst Adelheid, die alte Schlange,
hat als Hirn wohl eine Spange.
Und erst Heiner Nilpferd dort:
steht stundenlang nur plump am Ort.
Isidor denkt: „Nicht die Flinte!
Was Du brauchst sind Gleichgesinnte.“
So kehrt er ab, spricht leis’ adé
und sucht ein Literaturcafé.

5. Preis

Kurt May

Frühlingssalat

Wenn die Brumme hummelt
Und die Sumse bient,
Dann ist der Ling im Jahr früh da.
Wenn die Krone kaisert
Und der Plätscher lacht,
Dann schneit es Blüh vom Duft. Hurra!

Wenn die Gacke entet,
Die Miaue katzt,
Dann ist der Ling im Jahr früh da.
Wenn die Grunze schweinelt,
Und die Piepe kükt,
Dann schneit es Blüh vom Duft! Hurra!

Wenn die Stäube haselt,
Und die Scheine sonnt,
Dann ist der Ling im Jahr früh da.
Wenn die Zinthe hyert
Und die Zwitscher schwalbt,
Dann schneit es Blüh vom Duft. Hurra!


weitere Gewinnergedichte