Die Gewinnergedichte des "Lyrikwettbewerbes 2017"



1. Preis

Helmut Glatz

Der Dichter

In seinen Augen spiegeln sich die Wörterwälder,
durch die er einstmals ging zu frührer Zeit.
Nun sind sie abgeholzt, die Welt wird kälter,
und in den Nächten ist das Mondlicht gelb beschneit.

Er brach sich manche Blüte von den Bäumen
und warf sie lautlos lachend in den Wind,
derweil am Horizont die Schiffe träumen
von Ländern, die wie schöne Mädchen sind.

Man sieht ihn manchmal aus den Quellen trinken,
und auf sein Sehnen ist der Pfeil gelegt,
der ihn, dieweil die blauen Blüten sinken,
in jene fernen Wörterwälder trägt.


2.Preis

Martin Westenberger

damals, im süden

blaue tonnen, von
weiß geblendet,
sonnendraht,
wassernetz.

kalksteine
ohne zahl,
weiter in
staubigen schuhen.

versprechen von
seetang,
benetzung der haut.

strenge archäologie,
gesang zwischen
den sonnenständen.

gleiten über die
vorhaben der zeit,
alles, was keinen
namen mehr trägt.


3.Preis

Manfred Burba

Abkehr von der Kirche

Ich habe ihr auch einmal angehört,
das ist schon vor Jahren gewesen;
es hatten mich ihre Lieder betört
und die Bibel mit ihren Thesen.

Jetzt glaube ich nicht mehr an Litaneien,
an Sprüche und fromme Gebete
und falle nicht mehr auf den Pomp herein
und das ganze Etepetete.

Die Kirche hat keine Zukunft mehr
und hält sich an weltfremde Riten;
sie tut sich mit Reformatoren schwer
und dem Volk der Israeliten

und fühlt sich berufen, mit Gott im Bund,
zur Auslegung seiner Gedanken,
doch steht sie wie ich auf irdischem Grund
umgeben von Grenzen und Schranken

und ist eine weltliche Supermacht,
von niemandem mehr zu durchschauen;
sie bietet ein Haus, für Menschen gedacht
mit irrationalem Vertrauen.

In der Kirche möchte ich nicht mehr sein,
entmündigt von Dogmen und Zwängen,
auch bin ich nicht gern in einem Verein,
der geht nicht auf seine Probleme ein,
um sie vor der Welt zu verdrängen.

Angeregt von H. Küng: Ist die Kirche noch zu retten? (2010)


4.Preis

Martina Onyegbula

Inselstürme

Inseln sind wir
mit fremden Land
im selben Meer

retten nackt unsere Haut
bereiten uns zum Trocknen
auf Stränden

aus den zornigen Nächten
wehen noch Flaggen
mit bösem Blick

die brodelnde Wellengischt zu grau
wühlt noch am Morgen
aus dem Gestern Schmerzen auf

gestrandet mit zersprungenen Blicken
und Rissen
auch in Fernrohrgläsern

klafft Meeresfremde
zwischen Inseln auf
spült kalte Wogen auf ein Morgen


5.Preis

Karla Reimert

Freidrehen vor den Wirbeltieren

An Fäden, von unten kaum zu sehen, pendeln
grüne Panzer im Sturzflug. Ein Nachbau der Alpen.
Vor feinkörnigen Ablagerungen steht
eine Familie, bewundert
Metamorphosen in Vitrinen.
Dieser totale Umbau ihres Körpers
während der Puppenruhe, sagt Mutter,
wie im Auftrag ausgeklügelter Kommunikation.
Vielleicht, so Vater, sind wir als göttliche
Entwicklungsillusion nur Antworten
auf Mundwerkzeuge, Antennen und
zur Gänze vollzogene Häutungen.
Die Söhne wittern Spannweiten,
Empires einer Biomacht,
Vereinte Nationen von Gleitkunst.
Flieger-Traum im oberen Devon: Schuppen,
Fühler, Facettenaugen. Wirbeltierlungen
atmen mit hohlen Knochen.
Dünn, dünn diese Zeit,
so schwebt sie der Familie vor, aber nahezu
unzerbrechlich, irisierende Platte Chitin.
Die Museumspädagogik im Hintergrund zielt
auf Aneignung eines Humanismusbeispiels
vor dem Tod des Menschen.


6. Preis

Hanna Fleiss

Maienzeichen

Licht flammt in der Straße,
die neue Sonne, ein Aufatmen
geht durch den Tag: Mai ist,
der frühe Traum von Sommer.

Uns Verlassenen, uns Frierenden
sitzt ein Lied in den Kehlen,
es will ins Freie, dahin, wo Wände
nicht nützen.

Gütig die Himmel im Mai.
Wir erbeben beim Gesang jenes
Frühlingsvogels, der die Enge weitet
und des Menschen Nachtherz.

Leb den Tag,
tritt aus dem Schatten. Die Tiefe
der Wälder steht im Grün,
es glänzen die Hügel.


7. Preis

Carsten Rathgeber

Roter Faden

Durch die Flügel
Der schweigsamen Windmühle
Fällt das Licht auf gelben Raps

Ein lauer Wind
Erzählt vom salzigen Meer
Von Menschen und Geschichten
Von Bindungen

Ich hör sein Lied
Auch im Kirchturmgewölbe
Wo ich deine Seele such
Wo ich dich so laut ruf
Und all die Rosen berühr‘
Deine Übergangskleidung
Doch ich find keinen Faden

Ich werde still
Der Staub verfällt
Die Blätter erzählen



8. Preis

Leonhard Ehlen

es gehen fenster auf

es gehen fenster auf
zu unberufenen themen
ganz unbefragt
dringt lärmend welt herein
wir sind vernetzt
erschwinglich sind maschinen
soviel gesprochnes
handelt nur vom schein
wir sind verletzt
und alle machen gute mienen

es gehen fenster auf
wo keine waren
aus stille wurden schemen
bäume fehlen
die nachbarn hacken holz
gemütlichkeiten
man feiert draußen
ö ffnet fenster
im display welten
staaten die im streite.


9.Preis

Dirk Tilsner

hört sich gut an …

Wir sollten doch
‚ Feuer mit Feuer‘
bekämpfen …

hört sich gut an
fast wie

Blut mit Hund
Kreuz mit Zug
Bücher mit Verbrennung

und irgendwie auch wie

Klima mit Wandel
Haut mit Krebs
Wärme mit Tod

aber jedenfalls

Wahn mit Sinn


10.Preis

Wolfgang Rinn

Wandelgänger

Nächtlicher Bruder,
reichst mir die Hand,
du treuer Geselle,
in unentwegter Wiederkehr.

Dein fahles Licht
lässt Schatten länger werden
als ihr Gegenstand,
einsamer Wandelgänger,
der in weiten Himmelsbögen
seine Bahnen zieht,
und niemand weiß,
wie lange schon.

In stetem Aufwärtssteigen
wächst in Himmelshöhen du,
bis prächtig strahlt
dein Antlitz uns
in vollem Leuchten,
für Augenblicke wie
ein Herrscher dunkler Nächte.

Doch führt hinab
in sanftem Flusse dann
in dunkle Tiefen deine Bahn,
wo alles seinen Ursprung hat,
und kehrt aufs Neue wieder,
wenn sich der Tag geendet.