Die
Gewinnergedichte des "Lyrikwettbewerbes 2011"
1. Preis
Peter Frank
Landschaft in der Nähe
Unter der kreisenden Stille
sind die Felder aufgeschlagen
wie Bücher. Unausdeutbar
die alten Schriften der Bäume.
Die Zäsuren der Knicks
behindern den Blick nicht,
geben ihm Halt, machen die
Landschaft erkennbar. Landschaft,
die keine Beweise braucht,
die Höhenflüge verabscheut,
sich an die Erde hält-
harte schwarze Furchen.
Pfützen bis zum Sommer.
Windräder, einzelne Gehöfte,
die Gatter schief. Immer
ein kleiner Wind in den Birken.
2. Preis
Hans-Jürgen Gundlach
Entlassen
Ein Blick noch auf die Bettmaschine,
auf weiße Frau‘n im langen Gang,
und im Foyer die Buchvitrine
und ein zwei Damen am Empfang.
Die Tasche schwer in meiner Hand,
Papiere rascheln an der Brust.
Der Kopf wird nicht mehr umgewandt.
Im Schritt spür ich die Lebenslust.
Ein Windstoß trifft mich, feucht und kalt.
Ich trete vor die Eingangstür.
Die Blätter weh‘n vom nahen Wald
und landen in den Pfützen hier.
Doch dieser Tag, so grau und trüb,
er lässt mein Herz vor Freude tanzen,
denn was zu leben mir noch blieb
ist Grund zum Tulpenzwiebel-Pflanzen.
Um mich aufs nächste Jahr zu freuen
(und dafür lohnt sich mein Bemühen)
an ihrem Wachsen und Gedeihen
und ihrem Blühen.
3. Preis
Julia Romazanova
Wintersonett
Die letzte Nacht vergaß ich dich zu spüren
Ich wusste nur, dass ich da neben lag
Es wurde klar mit einem Herz nicht Schlag
Das über schlug sich einst in Ouvertüren,
Des Blutes schnell verschossenen Allüren
Femtosekunden vor dem vor dem Kuss
Im roten Abend wie im gold‘nen Schuss
Das letzte Mal vergaß ich es zu spüren
Wie Atem, der die Kehle kühlt und spannt
Nicht freut, nicht stört, nur schlicht dazugehört.
Und was ihn einst im Frühjahr hielt gebannt
Und im September drohte abzuschnüren
Wird eisklar und nicht länger noch verstört
Vergisst er was er schon vergaß zu spüren
4. Preis
Wilhelm J. Gerhards
Irdische:
Herbst - Zeitloser
Wenn morgen
ein Senner des
Weges kommt,
wird er nicht nach
dem Weg fragen,
weil seine Felder
himmelwärts.
Ich aber bin
schon in meinem
Sonnengewand,
das aus Zeit und
Gefühlen
geschneidert,
in dem ich
fliegen werde,
leewärts -
es dem Adler gleichtue,
dahin,
wo die Berge jung,
und die Ebenen auch
die Höhen sind,
zu den Sternen --
wohin auch immer,
denn ich werde bei ihm
und im Glück sein ---
atemlos.
5. Preis
Karin Posth
die datenkrake
es werden stündlich mehr. sie lassen
sich tragen auf highways in entlegene
orte. unendlich weit wie sterne im
weltraum. und bauen ein gläsernes haus.
ungezählt gehen sie ein und aus in diesem
haus. der große bruder schaut zu.
schonungslos. beim tauschen und teilen,
suchen und senden. sie geben sich preis.
das lockt spione. die sammelwut von sprudelnden
daten, gespeichert, zerlegt. alarmbereit schreit
rote farbe. schon schreiten schützer schnell
herbei. gigantisch ist die datenkrake.
sie grollt im dunkel. und greift mit
langen armen nach dem neuen gold.
wann lesen wir: die sterne fliegen
nicht mehr auseinander?
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