(Auszug aus
der Erzählung mit dem ersten Platz
und die Gedichte
Platz 2 und 3)
Johannes Bettisch
Mein sechzehnter Sommer
Dass die Literatur das Leben manchmal ganz erheblich beeinflussen
kann, ist ja kein Geheimnis. Ist es nicht eigentlich der Sinn
des Lesens, die Erfahrung zu erweitern? Das meiste, das man kennt,
hat man nicht selbst erlebt, sondern sich durch Lesen angeeignet.
Ich beziehe mich da auf den Umstand, dass ich als Fünfzehnjähriger
einen Roman gelesen habe, der sich Raubfischer in Hellas nannte,
und der einen grünen Einband hatte. Ich weiß nicht mehr,
vom wem er war. In der Handlung gibt es eine Episode, in welcher
ein junger Mann allein durch die griechischen Berge wandert und
sehr viel Interessantes erlebt. Selbstverständlich wollte
ich das auch, und zwar gleich. Trotzdem verging noch ein Jahr,
bis ich mit den Vorbereitungen beginnen konnte.
Der Sommer war da. Wohin ich wollte, das wusste ich, denn einige
Male bin ich mit dem Zug eine gewisse Strecke gefahren und sah
in akzeptabler Ferne eine riesengroße Felswand, die sehr
provozierend in die Höhe ragte. Für mich, der in einer
Ebene geboren wurde und dort aufwuchs, wo ein Maulwurfhügel
von weitem wahrzunehmen ist, stellten die Berge und besonders das
Hochgebirge eine starke Faszination dar. Ich hoffte, wenn ich dort
vorbeifuhr, dass ich einmal doch die Gelegenheit finden würde,
diese Felswand näher zu betrachten.
Nun war diese Gelegenheit da! Dort hinzukommen war absolut kein
Problem. Für den Anfang zumindest. Mit dem Personenzug neunzig
Kilometer bis Caransebes fahren, dann mit einem anderen weiter,
denn der Schnellzug blieb dort nicht stehen; aussteigen, am Fuße
des Berges entlang bis zur Gemeinde gehen, irgendwo übernachten
und am nächsten Tag gemächlich weiterwandern. Auch Moritz
hat sich die Feuerwehr so einfach vorgestellt. Es war aber immerhin
ein Plan, er war simpel, überschaubar und vielleicht auch
durchführbar.
Natürlich hatte die Vorbereitung auch andere Seiten. Ich musste
mein Taschengeld sparen, und die entsprechende Ausrüstung
besorgen. Diese bestand aus einem guten Stock aus Kirschholz, einem
Rucksack, ich hatte so ein scheckiges Wehrmachtszelt für eine
Person. Dann besorgte ich mir ein kleines Beil, das ich sorgfältig
polierte und unter der Bezeichnung „Tomahawk“ mitführte.
Ich fertigte mir ein schönes und auch gutes Bowiemesser aus
Redtenbacher Küchenmesser, denn ich lernte eben die Schlosserei.
Eine unentbehrliche Aluminium-Feldflasche nahm ich ebenfalls mit;
ich hatte einen runden militärischen Essnapf mit dem Deckel
als Teller; man konnte ihn auch über das Feuer hängen,
und einige weitere Kleinigkeiten für das alltägliche
Leben in der Natur, wie Zahnbürste, Seife, Handtuch, zwei
Hemden, Pullover, eine großkarierte Wolldecke, usw. Was am
stärksten den Rucksack zur Mutter Erde zog, waren die Lebensmittel:
Salz, trockene Bohnen, Reis, Speck, Bratwurst, Brot und etwas Öl
sowie Tee. Nur den Zucker und die Marmelade hatte ich irgendwie,
zu meinem großen Ärger, vergessen.
Die Lüge
Ein großes Problem war, dass ich die Erlaubnis meiner Eltern
für dieses zwei Wochen lange Abenteuer einholen musste. Ich
hatte schon viel früher gewisse Anspielungen in dieser Hinsicht
gemacht, aber das Ergebnis war im höchsten Grade entmutigend.
Wenn ich erzählte, selbstverständlich komplett aus der
Luft gegriffen, dass dieser Kollege oder der andere Freund einen
Ausflug in die Berge unternommen hat, und zwar ganz allein, dann
bekam ich so etwas zu hören, wie: „Na, ist der denn
ganz verrückt? Weiß er nicht, wie gefährlich so
etwas werden kann? Und hat er keine Eltern? Haben die nicht etwas
mehr im Kopf? Stell‘ dir bloß vor, dass er sich nur
erkältet, was macht er dort ohne Hilfe, mit hohem Fieber?
Oder wenn er stolpert oder fällt und sich ein Bein bricht
und nicht weiter kann, dann fressen ihn doch die Wölfe in
der Nacht.“
So und ähnlich lauteten ihre Kommentare. Ich dachte schon
darüber nach, was passieren würde, wenn ich mir ein Bein
brechen würde? Keine angenehme Vorstellung. Aber ich tröstete
mich mit der Losung: „Mir kann das nicht passieren.“ Wie
schrecklich bescheuert man mit 16 gelegentlich sein kann!
Fazit: Eine Erlaubnis konnte ich mir abschminken. Eine andere Lösung
musste also gefunden werden. Und ich habe eine gute gefunden. Keine
schöne, das ist wahr, aber eine, die funktionierte.
Da ich ja Schüler des Industrielyzeums war, und wir jedes
Jahr während der Sommerferien einen Monat lang in irgendeinem
Unternehmen Praktikum machen, also im Fach arbeiten mussten, kam
mir die Idee, vorzugeben, dass uns die Jugendorganisation auf eine
patriotische Baustelle schickt, um dort zwei Wochen lang freiwillige
Arbeit zu leisten. Das war damals so üblich. Arbeiter, Angestellte,
Lehrer, Studenten, alle Leute wurden immer wieder auf die sogenannte „freiwillige“ Arbeit
getrieben. Und das zog auch zu Hause. Zwei Tage lang habe ich auf
die Organisation geschimpft, und am dritten bin ich abgereist.
Der Aufbruch
Mein Rucksack war beizeiten gepackt. Was man mir eingepackt hat,
das habe ich an sicherer Stelle gelagert und ich war sehr froh,
als ich im Zug saß, der mich fauchend und ratternd meinem
Ziel immer näher brachte.
Als ich endlich aussteigen konnte, war ich voller Energie und Unternehmungslust.
Das erste brauchte ich sofort, für das andere gab es, im Moment
zumindest, keine Anwendungsmöglichkeit. Vom Bahnhof bis in
das Dorf waren es drei bis vier Kilometer, die man aber zu Fuß zurücklegen
konnte, wenn man, so wie ich, keinen Pferdewagen erwischen konnte.
Dieser Zug kam zu früh für die Pendler, die mit dem nächsten
heimkamen, so war ich der einzige Passagier der ausgestiegen ist.
Ich wollte nicht mit dem späteren Zug der Pendler anreisen,
denn ich fürchtete, dass es für die sorgfältige
Wahl einer Übernachtungsstelle zu spät werden könnte.
Und das war mir sehr wichtig. Ich musste alles nehmen, wie es kam.
Die Kilometer legte ich in zirka einer Stunde zurück, denn
ich beeilte mich nicht und in der Nähe der Siedlung begann
die Steigung. Ich wollte auch nicht ermüden; hinter dem Dorf
lagen die Berge und dort hieß es, den steilen Pfaden mühsam
zu folgen.
Das Dorf war, wie die meisten Gebirgsdörfer, nicht sehr breit,
dafür aber ziemlich lang. Ich hatte den Eindruck, dass es
nur eine einzige Straße gab, in einem Tal, entlang eines
Bächleins, das sein spärliches Wasser schnell genug abwärts
beförderte. Es führten auch Quergassen zur Hauptstraße,
aber die hatten so fünf oder sechs Häuser; die steilen
Gärten lagen schon hinter den Häusern. In so einem abgelegenen
Dorf passiert nicht viel und wenn ein Fremder dort auftaucht, besonders
wenn er erst sechzehn Jahre alt ist und mit einem ganzen Haushalt
bepackt herumläuft, wie ein Nomadenmaultier, das ist schon
ein Motiv, um die Hälse meterweit aus dem Fenster zu strecken
und danach sogar auf die Straße zu kommen, ihm nachzuschauen
und sich, als auch andere zu fragen, was zum Teufel der so aufgetakelt
da sucht und wohin er wohl allein gehen mag?
Ich konnte ihnen das auch nicht verdenken, denn ich hätte
mich bestimmt auch bestaunt, wenn ich mich durch ein Dorf hätte
marschieren sehen, mit einem dicken Knüppel in einer Hand
als Geh-Hilfe, einem Rucksack, auf dem ein aufgerolltes Zelt und
eine aufgerollte Decke festgebunden waren. An meinem Gürtel
war ein Tomahawk befestigt, eine Taschenlampe baumelte herunter,
eine deutsche Feldflasche klimperte im Rhythmus meiner Schritte
und im Gürtel steckte ein zweiundzwanzig Zentimeter langes
Bowiemesser. [...]
(Platz 2)
Julia Romazanova
Zeichen
Der Garten friedete
unseren Schlaf ein
nur langsam graut es
mir und ich falle.
Um deinen Hals
der Katzenschwanz
die Locke um dein Ohr
sind sie nicht wie
Fragezeichen?
Wie mein Blick verfängt sich
ein Grashüpfer in deinem Haar
und ich sehe nur
das Ende eines Satzes.
Komma runter,
wirst du ausrufen!
Du nahmst der Nacht
schon wieder
den Sonnentod ab
wirst du lachen
ö
ffnest du die Augen
deinen verträumten Doppelpunkt:
Spiegelstreichler meiner Seele -
zwischen zahllosen
Sommersprossen ...
(Platz 3)
Doris Stößlein
Sommergras
Der Wiesensteg, das harte Riedgras.
Die Weiden kahl und blitzgestreift.
Im Flammenrot der späten Stunde
die Silhouette dieser Stadt. Sie
wartet, sinkt, wächst hell
in dieses Haus der Nacht hinein.
Die Gräser lautlos silbern
recken sich im Gegenlicht.
Sie streicheln Feld und Felder.
Sie fallen in den Abendschein
gebräunt und hart.
Von oben jener Purpurball,
der weiße Lämmerwolken zähmt.
Vorbei am Wege wächst sich
manche Diestel aus. Schleudert
Samen nach den Faltern mühelos.
Die Mückentürme stehen schon im Tau.
Sie wollen in den Himmel fliegen.
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