Esther Redolfi
Eine Handvoll Venus oder
Von der Turbokonsumgesellschaft
zur Ökologischen Wertegemeinschaft
(kurzer Auszug)
[...]
Aber wie können wir dazu beitragen, die Welt ein bisschen
besser zu machen? Wir, die, Hand aufs Herz, es nicht mehr nötig
haben, nach einem noch höheren materiellen Lebensstandard
zu streben? Ist es die Sache überhaupt wert, noch mehr Konsumgüter
zu besitzen, wenn wir dafür nicht mehr die Möglichkeit
haben werden, die einfachsten Dinge des Lebens zu genießen?
Nein, ist es nicht, behauptet der britische Journalist und Buchautor
von Anleitung zum Müßiggang, Schöne alte Welt und
Die Kunst frei zu sein Tom Hodgkinson. Der aus der oberen englischen
Mittelklasse stammende Cambridge-Absolvent ist davon überzeugt,
dass unsere Gesellschaft an einsamem Streben, an Gier, Konkurrenz
und Verschwendung leidet. Mit seinem provokanten Aufruf zur Faulheit
will er Menschen wachrütteln und ihnen zeigen, dass der Konsum
nur ein Trost für Nine-to-Five-Jobs, für Pendlerschicksale,
für ungesunde, im Gehen verzehrte Mahlzeiten, für Meetings
und für Marketinggefasel ist. Für Hodgkinson ist und
bleibt der Konsumverzicht die Grundlage für ein freies und
besseres Leben. Damit meint er aber weder das Verzichten auf gutes
Essen und Trinken noch auf Bücher oder andere Gegenstände,
die wir inzwischen lieb gewonnen haben. Er ist nämlich davon überzeugt,
dass sich der Mensch primär auf das Wesentliche konzentrieren
sollte, anstatt sich für Überflüssiges versklaven
zu lassen. Denn gerade diejenigen, die es sich wie er leisten können
und wollen, würden neben der Beispielfunktion für zukünftige
Generationen und für mehr Zufriedenheit und Lebensfreude auch
einen wesentlichen Beitrag für die gesamte Umwelt leisten.
(Zeit Online: Kommen wir hier noch raus?) Haben wir also den wahren
Wert der Dinge vergessen? Sind wir wirklich, wie Oscar Wilde es
einst formuliert hat, zu Zynikern geworden, die von jedem Ding
den Preis und von keinem den Wert mehr kennen? Wiegen wir nunmehr
wirklich alles nur in Geld und Konsumgüter auf? Dass das nicht
immer so sein muss und dass ein Umdenken auch tatsächlich
stattfinden kann, haben die Bewohner eines Hamburger Stadtviertels,
des Gängerviertels bewiesen. Ende August 2009 haben rund 200
Künstler das vom Abriss bedrohte historische Viertel der
Hamburger Innenstadt besetzt und das Zahl-so-viel-du-willst-Prinzip eingeführt.
Seitdem sind etliche Jahre vergangen und das Prinzip Zahl
so viel du willst (für Getränke, Ausstellungen, Lesungen und
Konzerte) ist geblieben.
Ziel solcher Initiativen war und ist es, die Menschen dazu anzuregen, über
das eigene Konsumverhalten und über den tatsächlichen
Wert der Dinge zu reflektieren. (Spiegel Online: „Pay what
you want“ im Gängerviertel: Wo geiz nicht geil ist)
Denn: „Im Fall des konsumistischen Paradigmas gehören
zu den Grundüberzeugungen, die geändert werden müssten,
der Glaube, dass mehr Dinge glücklicher machen, dass permanentes
Wachstum gut ist, dass Menschen von der Natur völlig getrennt
sind und dass die Natur ein Ressourcenlager ist, das für menschliche
Zwecke rücksichtslos ausgebeutet werden sollte.“ So
Erik Assadourian, Direktor des Worldwatch Institute. Und dass es
auch andere Wege gibt, die entgegen dem Mainstream zu Glück
und Zufriedenheit führen können, indem Menschen für
gemeinsame ökologische Werte einstehen, davon zeugen die Geschichten
von Aabid Surti, Tom Hodgkinson und die der Künstler des Gängerviertels.
Denn wie in Eine Handvoll Venus der Held der Geschichte sich letztlich
dazu entschließt, in einer aussichtslosen Lage den Werbeagenturen
den Rücken zu kehren und zu den Weltnaturschützern überzulaufen,
zeigen uns Helden des Alltags, Weltverbesserer und Pioniere des
Wandels, dass es nie zu spät ist, etwas zu unternehmen,
damit es zum Wandel kommt.
(1. Preis)
Karin Posth
an grenzen getrieben
das klimamonster
legt deutlich zu,
stufe für stufe und
nirgendwo
heult ein alarm.
die unvernunft drängelt
beim anstieg und
lässt ihr wachsen
am himmel aus.
giftig und grau
ist die haube,
unter die er die erde bringt.
die schöne -
an grenzen getrieben,
gerät immer schneller
in fahrt. zieht das eis ab
an gletschern und polen,
wiegelt das meer auf
gegen die ufer,
lässt verglühn
das grün der länder.
den schlüssel
zum überleben
rückt sie nicht heraus.
(4. Preis)
Michaela Bindernagel
Beuteldeutsche (kurzer Auszug)
Ich bin eine Beuteldeutsche und stolz darauf. Sie wissen nicht,
wer die Beuteldeutschen sind? Ich kann nachhelfen: Ende der 70-er
und in den 80-er Jahren wurden in einigen Ländern Europas
die Deutschen, welche immer einen Stoffbeutel mit sich führten,
so bezeichnet. Andere Ausländer ließen sich, wie die
Inländer, grundsätzlich alles in Plastiktüten
verpacken, damals der Ausdruck für Fortschritt. Einige der
Deutschen trugen etwas am Handgelenk, so groß wie ein Portemonnaie,
mit Reißverschluss. Wenn sie einkauften oder am Strand
Steine sammelten oder, oder, oder… entfaltete sich dieses „fast
Nichts“ hin zu einem Stoffbeutel, der die erworbenen Dinge
aufnahm.
Heute, im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts, lebe ich in Portugal:
Plastiktüten überall. Obwohl ich zu den Beuteldeutschen
gehöre, muss ich zur Kenntnis nehmen, dass es fast unmöglich
ist, sich dagegen die zu wehren. Freundliche Verkäuferinnen
packen mir, als Dienstleistung, die Ware gleich in eine Tüte
aus Weichplaste. Manchmal bin ich mit meinem Beutel schnell genug,
um diese Zuvorkommenheit zu verhindern. Das gelingt nicht immer.
So lerne ich meine ersten portugiesischen Worte: „Por favor,
nao saco!“ (Bitte, keine Tüte). Das wird sehr unterschiedlich
aufgenommen. Während im Supermarkt ein erstaunter Blick mit
der Nachfrage folgt, ob ich tatsächlich keine Tüte möchte,
freut sich die Händlerin auf dem Wochenmarkt. Sie erklärt
mir, dass die Plastiktüten für die Obst- und Gemüsehändler
teuer sind. Dabei werfen die Kunden sie in aller Regel zu Hause
weg. Nun, das zumindest passiert bei mir nicht einfach so. Wenn
ich einer Plastiktüte nicht entgehen kann, wird sie zu Hause
als Mülleimer genutzt, bevor sie dann mit Inhalt in den Müll
kommt.
Ich wohne seit einiger Zeit in Portugal und halte sehr viel davon,
die Gesetze, die ethischen Vorstellungen und die Verhaltensweisen
in diesem Land, in dem ich Ausländerin bin, zu respektieren
und zu achten. Ich fühle mich auch nicht dazu berufen, besserwisserische
Ratschläge zu erteilen, wie Dieses oder Jenes zu ändern
wäre. Vielmehr denke ich an eine Lebensweisheit der Aborigines,
der Ureinwohner Australiens: Beobachten ohne zu werten. Zugegebenermaßen
weiche ich manches Mal davon ab. Dafür bin ich Mensch. Doch
ich spüre, dass es mir gut bekommt, nicht immer gleich eine
Wertung parat zu haben, wie so viele andere meiner Mitbürger.
So beobachte ich den Plastiktütenwahn und trage meinen Beutel
mit mir herum. Die Achtsamkeit für meine Umgebung wächst
beständig an, seitdem ich mehr beobachte und weniger, vor
allem vorschnell, bewerte.
[...]
(2. Preis)
Catherine Santur
Frische Ware (kurzer Auszug)
Als seine Hündin anschlug, vermutete der Zolloberinspektor
zunächst einen Fehlalarm. Denn der Koffer, der die Hündin
so erregte, stammte von einer Pauschaltouristin, die gerade aus
der Dominikanischen Republik gelandet war, und nichts an dem grauen
Plastikkoffer und seiner Besitzerin - einer älteren Frau,
deren Doppelkinn hin und wieder über den Kragen der Sportjacke
rutschte - ließ den ungewöhnlichen Fund erahnen, den
er bei der Öffnung des Koffers machte. „Was ist DAS
denn?“ fragte er überrascht und starrte auf sorgsam
in Zeitungspapier und Tücher gewickelte und schließlich
in Pappkartons verpackte Eier. Vierzehn an der Zahl, wenn er richtig
gezählt hatte, vierzehn große Eier. Die Frau schüttelte
ihre Dauerwelle und fragte etwas pikiert zurück, was an Eiern
so verwunderlich sei, „Bömbchen“ seien es jedenfalls
nicht. „Und was wollen Sie mit den Eiern?“ hakte der
Zolloberinspektor nach. Sie sah ihn groß an und antwortete
dann spitz, ob jetzt auch noch das Essen von Eiern untersagt sei,
obwohl die nachweislich die Gesundheit fördern würden,
und im Übrigen verwies sie auf den Anschlussflug von Wien
nach Berlin, den sie nicht verpassen dürfe.
„
Aber“, meinte der Zolloberinspektor, und reichte ihr etwas
entgeistert eines der Eier herüber, „aber die Eier sind
noch total warm!“ In diesem Moment begannen sich auf der
Hautwulst unter ihrem Kinn kleine Schweißperlen zu bilden,
die anschwollen und in dünnen Rinnsalen zu laufen begannen,
bis sie vom Kragen der Jacke wieder aufgesogen wurden. Es war August,
und es war heiß. Den Zolloberinspektor interessierte dies
alles nur geringfügig. Entscheidend war vielmehr, dass die
Frau über keine Einfuhrgenehmigung verfügte. Ja, dass
es eine solche überhaupt für so etwas wie Eier gab, war
ihr offensichtlich verborgen geblieben. Das könnten sich auch
nur Wiener Beamte ausdenken, schimpfte sie vor sich hin, während
der Zolloberinspektor das zuständige Amt verständigte
und ihr Flug nach Berlin auf der benachbarten Anzeigetafel noch
einmal kurz aufleuchtete, bevor er im Nichts entschwand.
Die Eier entpuppten sich - so der herbeigerufene Fachspezialist
- als Eier eines Nashornleguans, der weltweit nur in der Dominikanischen
Republik, auf Haiti und einigen der umliegenden Inseln vorkommt.
Friedhelm Wegener drehte die großen Eier äußerst
vorsichtig in seinen Händen hin und her.
[...]
(3. Preis)
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