Leseprobe



Saphiramira Tachana


Ein Abend mit Kollegen


Wie schnell die Zeit doch vergehen konnte, wenn man Spaß hat. Ich hatte an diesem Abend seit Langem einmal wieder ein Treffen mit ein paar meiner liebsten Kollegen organisiert, lud ihn ganz beiläufig auch ein. Mit ihm meinte ich diesen bildhübschen Studenten, der es mir schon seit geraumer Zeit angetan hatte. Dessen Wangenknochen mich in jedem virtuellen Meeting erneut um den Verstand brachten, und von dem ich meinen Blick beim besten Willen nicht abwenden konnte. Mit dem ich täglich chattete, und Gründe erfand, ihn anzuschreiben. Ich bildete mir jedoch ein, dass er das gleiche tat. Mit der Zeit verstanden wir uns immer besser. Zudem waren wir intellektuell auf einer Wellenlänge. Lasen die Zeit, gingen gerne ins Theater, mochten die selben Bücher. Und doch frage ich mich berechtigterweise, ob mein Interesse an ihm genauso groß wäre, wenn er nicht so verdammt gutaussehend wäre. Vermutlich nicht. Immerhin war er nur ein Student.
Verstohlen riskierte ich einen Blick nach links auf sein Profil. Ich saß neben ihm im Auto, er fuhr mich nach unserem gelungenen gemeinsamen Abend wieder nach Hause. Vielleicht habe ich ihn bewusst zu diesem Treffen eingeladen, um ihm nahe zu sein. Und um an seine Handynummer zu kommen. Immerhin hatte der erste, zaghafte Versuch an diese zu kommen, um ihn zu unserer geschäftlichen WhatsApp Gruppe hinzuzufügen, schließlich keine Früchte getragen. Also musste ich geduldig sein, und auf die nächste Gelegenheit warten. Die ich dann aber auch postwendend am Schopf gepackt habe. Ein Glück, dass ich so kreativ war!
Ich glaube nicht, dass er hinter meinen Handlungen eine weitere Absicht vermutet hat. Falls ja, überspielte er es genauso gut wie ich. Als ich mich endlich dazu durchgerungen hatte ihn zu fragen, ob er zu unserem Treffen mitkommen möchte, schlug ich sogleich scherzhaft vor, dass er mich dann ja auch direkt abholen kann. Schließlich wohnt er nur ein paar Dörfer weiter, und wäre auf seinem Weg in die Stadt sowieso bei mir vorbeigefahren. Natürlich willigte er ein. Also tippte ich mit zitternden Händen und klopfendem Herzen meine private Handynummer in unseren Firmenchat und bat ihn, mir doch kurz Bescheid zu sagen, wenn er losfahren würde. Bevor ich die Nachricht absendete hielt ich einen kurzen Moment inne. Ich spürte, wie mein Puls raste, und meine Finger zu schwitzen begannen. Schließlich fasste ich all meinen Mut zusammen und drückte auf Senden. Für eine schiere Ewigkeit wartete ich auf seine Antwort. Und als am frühen Abend die Nachricht von einer unbekannten Nummer auf meinem Display auftauchte, schoss mein Puls erneut in die Höhe.
Ich redete mir ein, nichts Unrechtes getan zu haben. Es war schließlich nur eine Frage. Eine unschuldige, gut gemeinte Frage. Es war doch wirklich nicht verwerflich, gerade in diesen von Corona geprägten Zeiten einen neuen Kollegen etwas ins Team integrieren zu wollen? Das war nur menschlich. Und was konnte ich schließlich dafür, dass meine Wohnung auf dem Weg lag? Das war reinster Zufall. Genauso wie diese Wangenknochen. Dass er mich mitnahm war also nicht etwa ein Vorwand, um Zeit mit ihm alleine zu verbringen und ihm nahe zu sein. Nein, das hatte einen rein ökologischen Hintergrund. Rühmte ich mich doch bei sämtlichen Gelegenheiten mit meinem Engagement für den Klimaschutz. Und immerhin fuhr er ein Elektroauto!
Unschlüssig lief ich zum Kleiderschrank und probierte verschiedene Outfits aus. Ich entschied mich letzten Endes ich für ein relativ kurzes, figurbetontes, blaues Kleid. Prüfend ging ich vor dem Spiegel auf und ab. Da ich im Büro doch meist eher schlicht und professionell gekleidet war, wollte ich ihm damit eine andere Seite von mir zeigen.
Und jetzt saß ich also hier, direkt neben ihm im Auto. Der Saum meines Kleides war mir bis zur Mitte des Oberschenkels hoch gerutscht, doch ich dachte vorerst nicht daran, das Malheur zu korrigieren. Er sollte sich ohnehin auf die Straße konzentrieren. Erneut wanderte mein Blick von meinen Schenkeln zu seinem Gesicht. Zweifellos machte er auch im Profil etwas her, er war einfach ein überaus attraktiver, junger Mann. Seit ich ihn das erste Mal in meinem Büro sitzen sah, bestand daran kein Zweifel mehr. Er hatte es mir vom ersten Moment an angetan.
Obwohl ich einige Cocktails getrunken hatte, versuchte ich mir nichts anmerken zu lassen. Als ich abermals etwas zu laut über einen meiner eigenen Witze lachte, verstummte ich plötzlich und sah ihn entschuldigend an. „Weißt du, mein Vater hat immer gesagt, ich soll aufpassen, bei der Arbeit. Soll nicht so sein, wie ich bin, so offenherzig weißt du.“ Ich studierte seine Mimik, und für einen kurzen Sekundenbruchteil trafen sich unsere Blicke. „Aber weißt du was – da pfeife ich drauf. Mal ehrlich, mit den Leuten bei der Arbeit verbringe ich mehr Zeit als mit meiner Familie oder meinem Partner. Wenn ich mich hier verstellen muss, dann kann ich mich auch gleich erschießen. Klar, ich kann mich natürlich schon benehmen, wenn ich zum Beispiel mal wieder zum Vorstand muss. Aber als wir noch im Büro waren, haben sich die Leute immer gewundert, warum aus unserem Büro ständig Gelächter zu hören war. Aber ich sag dir ehrlich, anders wäre das nicht zu ertragen.“
Ich hatte mich etwas in Rage geredet und konnte meinen Blick noch immer nicht von ihm abwenden. Er pflichtete mir bei, stets bemüht mich an roten Ampeln oder bei langsam fließendem Verkehr ebenfalls anzusehen. Wenn sich unsere Blicke trafen, konnte ich trotz der Dunkelheit die charakteristischen Grübchen erkennen, die seinem ausdrucksstarken Gesicht diesen markanten, aber dennoch milden und freundlichen Ausdruck verliehen.
Ich fragte mich, ob er sich seines Aussehens bewusst war. Ob er sich seiner Wirkung auf mich bewusst war. Und ob er das alles nur mit nonchalanter Leichtigkeit überspielte. Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass er von alledem nichts mitbekam. Sein vermeintlich unschuldiges Naturell brachte meine Fantasie auf Hochtouren. Ich wollte unbedingt wissen, was sich hinter dieser hübschen, braven Oberfläche verbirgt. Indessen machte ich kein Geheimnis daraus, dass ich ihn gut leiden konnte. Schmeichelte ihm, indem ich ihm versicherte, dass er einen guten Einfluss auf mich hätte. Hatte ich doch wegen ihm sämtliche zeit- und geldfressenden Handy-Apps gelöscht und die meisten meiner Social Media Accounts deaktiviert. Als ich ihn besser kennenlernte und bemerkte, dass wir uns generell auf der selben Wellenlänge befanden, bat ich ihn, mir Bücher zu empfehlen. Schließlich musste ich doch die freie Zeit, die ich nicht am Smartphone verbrachte, irgendwie sinnvoll nutzen. Bücher, und generell geschriebene Texte empfand ich als etwas sehr
Persönliches. Seine erste Buchempfehlung hatte ich innerhalb weniger Tage verschlungen. Außerdem bat mir das einen willkommenen Anlass, ihn über meinen Lesefortschritt auf dem Laufenden zu halten, und mich mit ihm zu den Geschehnissen des Romans und der auftretenden Figuren auszutauschen. Als er mir schließlich privat ein Bild eines Frettchens auf seiner Terrasse schickte, musste ich schmunzeln. Ich hatte den Köder zwar ausgeworfen, aber er hatte angebissen. Nun durfte ich nur beim Einholen der Schnur keinen Fehler machen.
Nachdenklich betrachtete ich meine Hände, die ich in meinem Schoß verschränkt hatte. Schließlich zog ich den Rock doch ein kleines Stück hinunter. Er sollte ja nicht denken, ich wäre ordinär. Dabei bemerkte ich eine kaum zu leugnende Wärme, die sich in meinem Schoß breit machte. Wir unterhielten uns über einige belanglose Dinge, ehe wir schließlich das Ortsschild meines Heimatdorfs passierten, und sein Wagen nur wenige Augenblicke später vor meinem Haus zum Stehen kam. Er hatte den Blinker gesetzt und halb auf dem Gehweg geparkt, um so den Verkehr nicht zu behindern. Zuvorkommend und höflich wie immer. Das leise Summen des Elektromotors erstarb im Stand, und die plötzlich eintretende Stille wandelte sich zu einem Rauschen in meinen Ohren. Verursacht durch den Alkohol, aber doch vornehmlich durch die Gesellschaft. Im fahlen Schein der einige Meter entfernt stehenden Straßenlaterne betrachtete ich sein Gesicht. Der sauber gestutzte Dreitagebart, der seinem jungenhaften Antlitz etwas Erwachsenes, Männliches verlieh. Das perfekt sitzende, weiße Hemd, das leicht bläulich schimmerte. Die aufgeweckten Augen, die mich trotz der Dunkelheit hellwach anblitzten. Mein Blick fiel auf die Finger seiner rechten Hand, die beinahe krampfhaft das Lenkrad umklammerten. Ich bildete mir ein, die Knöchel heller hervortreten zu sehen. Während ich ihn ansah, machte ich keinerlei Anstalten, aussteigen zu wollen. Wohl wissend, dass, wenn ich jetzt gehen würde, meine Chance für immer vertan sein könnte. Schließlich hatte er uns beim Abendessen eröffnet, dass er nach dem Ende seiner Abschlussarbeit nicht bei uns bleiben würde, sondern sich bereits für eine andere Stelle entschieden hatte. Obwohl mich die Tatsache per se schon etwas schmerzte – schließlich hätte ich mein Büro gerne auch in Zukunft mit diesem gutaussehenden Mann geteilt – so wollte ich sie auf der anderen Seite auch als Chance begreifen. Als meine Chance, ihm näher zu kommen, ohne unser Arbeitsverhältnis dabei unnötig zu verkomplizieren.
Nachdenklich biss ich mir auf die Lippe. Ich konnte wohl kaum einfach meine Hand nach ihm ausstrecken, oder ihn fragen, ob er noch mit hochkommen wollte. Völlig ausgeschlossen, wartete doch in meiner Wohnung bereits mein Freund auf mich. Kurz überlegte ich, ihm einfach zu sagen, was ich für ihn empfand, wischte den Gedanken doch sogleich energisch wieder bei Seite, denn damit würde ich sämtliche Illusionen und Fantasien ein für allemal zerstören. Das kam nicht in Frage. Ich musste subtiler vorgehen. Strategisch klug. Ihm einen Vorgeschmack geben. Einen ganz kleinen. Ein winziges Signal, das ihm einerseits mein Interesse bestätigte, andererseits aber auch nicht zu viel offenbarte, und Lust auf mehr machte.
Mein Blick wanderte erneut zu seinen Händen, die das Lenkrad noch immer fest umklammerten. Ich bildete mir ein, ein leichtes Zucken in seinem Körper wahrzunehmen. Mein Brustkorb hob sich schließlich etwas an, als ich die Luft in meine Lungen sog, und einen Entschluss fasste. Mein Jagdinstinkt war geweckt, und er würde mir sicher nicht davonkommen! ...

(Auszug)