Leseprobe
aus dem Band: "Eine Art von Luxus"
HARRODS
Jörg Reinhardt
Wenn man einer Frau, die das erste Mal London besucht, die
Stadt zeigen will, kann man einiges auslassen, das Wachsfigurenkabinett
etwa, das Innere des Tower oder Greenwich, aber nie Harrods.
Schon seit der Eröffnung ein Wallfahrtsort, ein fester
Bestandteil im Besuchsprogramm, für jeden zugänglich,
für die meisten unerschwinglich. Das ist wiederum eine
der geschicktesten Marketingstrategien, die man sich nur ausdenken
kann: Zeige dem gewöhnlichen Volk, was es sich nicht leisten
kann, aber verkaufe ihm kleine Appetithäppchen, die es
nicht braucht, zu überhöhten Preisen und lass es
sich so in einer Welt bewegen, die nicht die seine ist. Jeder
Zweite kommt aus diesem Konsumbunker mit dem Harrods-Schriftzug
auf einer Glanzpapiertasche, in der sich irgendein Requisit
befindet, das zu nichts weiter nutze ist, als in eben dieser
Tasche zu verschwinden. Mit dem eleganten, unaufdringlichen
Logo eines Kaufhauses, das keine Marke, sondern eine Lebenseinstellung
ist.
Meine Frau, keinesfalls ein materialistisches Wesen, wollte
dort ebenfalls Station machen, „wenigstens mal reingehen“,
wie es im Tourismusdeutsch heißt und ich hatte unser Besichtigungsprogramm
so sinnvoll zusammengestrichen, dass eine Stunde, denn länger
wollte sie auf keinen Fall dort verweilen, durchaus realistisch
war. Allerdings wollte ich selbst nicht den Oh‘s und Ah‘s
hunderter Touristen ausgesetzt werden, die beim Anblick der Preisschildchen
von Augenlidzucken bis Dauerkopfschütteln diverse Facetten
von Körperregungen zeigen, die durch extremes Unverständnis
ausgelöst werden.
Wir verabredeten uns also auf eine Stunde später am U-Bahnausgang
(Harrods hat einen eigenen). Ich entließ meine Frau ohne
Angst, denn sie würde dort bestimmt nichts kaufen, und wenn
sie doch etwas finden würde, was ihr richtig gefällt,
würde sie es nicht bezahlen können. Ich suchte mir
in der Nähe ein Café, ließ mir einen Espresso
schmecken und machte mich nach einer guten halben Stunde zurück
auf den Weg zum Kaufhaus. Da noch etwas Zeit war und es mittlerweile
auch angefangen hatte zu regnen, beschloss ich einen Rundgang
um das Gebäude zu machen, dessen Balustraden mich vor dem
Regen schützten.
Die letzte von vier Geraden mündete in die kleine Straße,
die zu unserem Treffpunkt führte, und hier war es sichtbar:
Die ganze Symbolik der nach außen getragenen, schreienden,
hochpeinlichen Macht von Kapital. Das, was der normal arbeitende
Durchschnittsverdiener als „Geldhaben“ bezeichnet,
in Form einer der teuersten Blechansammlungen, die man sich auf
engstem Raum vorstellen kann. Diese kleine Gasse war vollgestellt
mit Luxuskarossen, worin sich ein einzelner Mercedes 500 schon
fast als Proletenschleuder abhob. In allen Wagen saßen
Chauffeure, teils in Uniform, aber auch nur leger und muskelbepackt,
alle jedoch optische Signale aussendend, arrogant und unmissverständlich: „Hier
bin ich, hier ist das Auto, wehe, es kommt jemand näher
als einen halben Meter.“
Die restlichen zehn Minuten bis zum Treffen mit meiner Frau
verbrachte ich vor einem Schaufenster mit Badezimmerutensilien.
Ein kurzer
Blick genügte, um eine Seifendose aus Blech für 100
Euro als billigsten Artikel auszumachen.
Auf der kleinen Straße spielten sich viel interessantere
Szenen ab, denn die Fluktuation der an- und abfahrenden Luxuskarossen
war beträchtlich, und um dieser Situation Herr zu werden,
waren zwei Angestellte damit beschäftigt, den fahrenden
Berufslakaien durch unmissverständlichen Körpereinsatz
zentimetergenaue Fahrrinnen zuzuweisen, die die Autos vor Blechschäden
und sie selbst vor der Entlassung schützen sollten. Aber
das war noch nicht alles, für das die beiden Herren, die
sicher schon das Rentenalter erreicht hatten, zuständig
waren.
Ausgestattet mit jeweils einem riesigen Regenschirm mussten
sie die Insassen der Wagen zum zehn Meter entfernten nächsten
Eingang des Kaufhauses geleiten. Wobei sie selbst natürlich
nass wurden, die zwei alten Herren in ihren Kaufhausuniformen,
die im letzten Jahrhundert bestimmt noch eine gewisse Würde
ausgestrahlt haben, heute als Kulisse vor irgendwelchen Sehenswürdigkeiten
als pittoresk bezeichnet würden, hier aber, als Teil eines
psychosozialen Dramas auf offener Straße, fast schon erniedrigend
wirkten. Mir gingen viele Gedanken durch den Kopf, wenn ich immer
mal wieder in die angestrengten Gesichter der beiden schaute.
Was sie wohl denken, wenn sie verzogene 12jährige Mädchen
vom Bentley zum Hauseingang mit dem Regenschirm begleiteten,
wenn sie ihnen angestrengt lächelnd einen schönen Tag
wünschten, wenn sie dieselben Mädchen nach einer halben
Stunde vom Hauseingang zum Bentley zurückführten, die
Taschen und den Regenschirm halten, wohl wissend, dass die beiden
Kinder gerade in einer halben Stunde mindestens den Betrag ausgegeben
hatten, der ihrem Jahresgehalt entspricht. Was denken die beiden
Männer am Abend, beim Bier oder beim Essen, wenn sie das
den ganzen Tag gemacht haben? Denken sie vielleicht, dass sie
die Kaufhausnarren sind, oder fühlen sie sich wohl, wenn
ihnen irgendeine Kamera von irgendeinem ausländischen Sender
in die Nase gehalten wird und sie genau das sagen müssen,
nämlich dass sie sich gut fühlen, vielleicht auch noch,
dass sie stolz sind dort zu arbeiten? Oder denken sie einfach
gar nicht mehr?
Es wurde mir zuwider, dieses Schauspiel zu beobachten. Ich
dachte an zu Hause. Ein seltenes Mal fand ich etwas Positives
am Deutschen,
etwas offensichtlich Positives. Der deutsche Reiche protzt
nicht so demonstrativ, so massiv. Er protzt auch, aber oftmals
doch
recht versteckt, denn der deutsche Reiche hat mehr Angst, denn
der Durchschnittsdeutsche wird zu schnell neidisch und das
schreckt den Reichen. Deswegen bleiben sie gerne unter sich,
die deutschen
Reichen.
„
Ach“, wird dir die Verkäuferin von Tesco sagen, die öfter
am Tag zu hören bekommt, wie teuer die Lebensmittel geworden
sind, „zu Harrods geht doch kein Engländer.“ Womit
sie recht hat, denn nicht jeder Araber, dem ein Stück London
gehört, hat die englische Staatsbürgerschaft.
Wir trafen uns am U-Bahnhof und rauchten noch eine Zigarette
im Schutz des Türeingangs. Meine Frau war nicht beeindruckt,
sie hatte es genau so vorgefunden, wie sie das erwartet hatte.
Ich zeigte ihr noch die Gasse mit den vielen Luxusautos. Wir
sprachen kurz über die Brisanz dieses Ortes, eigentlich
ein sozialer Brennpunkt, eigentlich ein Fass Dynamit, wenn zwei
verschiedene Welten so offen und eng aufeinandertreffen. Dass
da noch nichts passiert ist, wunderte uns, es könnte ja
niemand verhindern, aber wer weiß, vielleicht haben die
Kaufhausstrategen im obersten Stockwerk ein eigenes Abwehrsystem.
Meine Frau und ich verstehen uns auch deswegen gut, weil wir
eine ganz andere Auffassung von Luxus haben. Viel einfacher,
viel billiger, viel besser. Viel reicher.
Es hatte aufgehört zu regnen und die Sonne kam durch. Wir
gaben uns einen Kuss und gingen ins benachbarte McDonalds um
einen Salat zu essen.
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