Leseproben
(...) Awwer de Hammer iss mer gleich beim Abfluch passiert, do
in Hahn, im Hunnsrück, off em Fluchhaafe. Mei Freundin
war jo mit, un die iss widder nedd fertich geworn dehaam und
da
kame mer
schon ze spät an. Egal, jedenfalls warn die Passagiern
schon all engestieche unn de Käpt‘n hat quasi nur
noch off uns Zwaa gewart. Mir also schnell die Bordkarte geholt
unn ab zur Sicherheitskontroll. Die ‚Anner‘ vorneweg
unn ich hinnerher. Dann gings nachenanner durch die Sicherheitsschleus,
kennsde doch, das Ding do, zum Durchleuchte von de Passagiern!“ ‚Das
Ding do‘ präzisierte er gestikulierend, in dem er
beide Hände hoch über seinem Kopf von sich weg nach
außen reckte und sie dann geradewegs nach unten fallen
ließ, wo sie in Kniehöhe noch einen Moment verweilten.
„
Unn es kam wies komme musst! Ich hatt Schuh an, mit so Stahlkappe
vorne drin unn da hat das Gerät plötzlich angefange
ze piebe. ‚Ziehen sie bitte ihre Schuhe aus und stellen
sie sie hier rein‘, saacht so Aaner von dene Kontrollettis
zu mir unn hält mer so e Plastikbox unner die Nas. Unn ich
Dappes hatt verstanne: ‚Ziehen sie ihre Schuhe aus und
stellen sie sich hier rein!‘ Ich ahnte schon, was jetzt
kommen würde, sperrte mich aber noch gegen die nahende Erkenntnis
und umklammerte vorsichtshalber die Armlehnen meines Stuhles.
„
Ich also die Schuh ausgezooche unn mich in die Box gestellt.
Da guckt der mich völlich fassungslos an unn fraacht, ob
ich en verarsche wollt!“ An dieser Stelle verlor ich jegliche
Haltung und jaulte sirenengleich auf. Ich stellte mir noch meinen
Liebling vor, wie er ein wenig desorientiert in seiner Schachtel
stand, die Arme zur Durchsuchung artig nach oben gewinkelt und
weitere Anweisungen
des Sicherheitspersonals erwartend. Dann verlor ich, glaube ich,
für einen Moment die Besinnung. Was genau, glaubte er wohl,
würde passieren? Dass man ihn aus der Schachtel heraus direkt
auf seinen Platz in der wartenden Maschine oder noch besser,
direkt an seinen Zielort beamen würde? Was ging in diesem
Hirn vor? Waren solche Fehlzündungen therapierbar? Ich wusste
mir keine Antwort, schüttelte mich wie ein nasser Hund und
holte mich durch tiefes Ein- und Ausatmen in die Gegenwart zurück.
(...)
(...) „Das bleibt awwer unner uns“, schwor er mich
einleitend auf absolute Diskretion ein, bevor er endlich die
Spannung zu
lösen begann. „Ei, mei Oma, hat das früher aach
immer mal gemacht“, entpackte er zunächst verschlüsselt
die in ihm rumorende Geschichte. „Was, gemacht“,
wurde ich ungeduldig.
„
Ei, Grünkohl unn Pinkel!“
„
Ja und?“, bohrte ich unnachgiebig weiter.
„
Ei, dass is mir emol ganz schö zum Verhängnis geworn;
ich hatt nämlich emal e Zahnarzthelferin im Aache (zunächst
klang es in meinem Ohr wie ‚in Aachen‘, sollte aber
tatsächlich ‚im Auge‘ heißen) und da hab
ich merr emal, nur um die kennesellerne, e paar Termine gewwe
lasse, zur Paradonthosebehandlung, verstehsde, das stand sowieso
an?“
Natürlich verstand ich überhaupt nichts und sah mich
gezwungen, ihn in meinem Verhör noch härter ranzunehmen. „Was
bitte, hat denn Kohl und Pinkel mit deiner Paradonthose zu tun!“,
glaubte ich ihn sortieren zu müssen.
„
Ei warts doch ab, es kommt jo gleich. Mir hatte nämlich
abends devor bei meiner Oma Grünkohl unn Pinkel gegesse
und hatte aach e paar Schnäps da dabei getrunke. Am nächste
Morje hatt ich dann den Paradonthose Termin. Unn als ich do so
off dem Stuhl laach, hatt ich, unn dass kannstde de mer glaawe,
Diedä, Schmerze wie ungescheit, vor lauter Blähunge,
fürchterlich! Unn an Erleichterung war nedd se denke, wann
de verstehst was ich mein? Wenn ich do ahn hätt fahrn lasse,
wärs ausgewese bevors üwwerhaabt angefange hat. Ich
also gekämpft unn gepetzt, wie der Dokter und die Anner
do an mir rimm gemacht hawwe. Waasde wie das iss, e Pradonthosebehandlung?“
Nein, ich wusste es nicht, aber mein Freund, der seine Höllenqual
noch einmal mimisch aufbereitete, ließ mich nicht lange
in Unkenntnis. Jetzt war er im Redefluss und nichts konnte ihn
aufhalten. „Die Geräusche sinn aafach ekelhaft“,
jonglierte er beim Adjektiv kurzerhand ins Hochdeutsche, bevor
er erneut in seinen Heimatdialekt verfiel. „Das Schaabe
und Kratze, unn glaabsde, ich hatt Schiss, dass se mich vielleicht
nedd richtich betäubt hawwe könnte, unn da dazu die
hölle Blähunge, ich war klatschnass geschwitzt. Wie
Krämpf, waasde? Irgendwann is mer dann aaner rausgerutscht!
Ich glaab zwar geräuschlos, ich konnts ja nedd werklich
hörn, weje dem Schaabe und Kratze, awwer mit Schmackes!
In dem Moment wusst ich sofort: Jezz is es aus! ‚Gehts?‘,
hat de Dokter gefraacht unn die Anner hat mich sogar e bissche
agegrinsd. Ich hab tapfer genickt, obwohl ich wusst, dass de ‚Count
Down‘ schon lief. Die letzte Zahle, von Five bis Siro,
hab ich gedanklich mit enunner gezählt. Aach Gott, war das
peinlich, Diedä, ich kann ders gar nedd saache. Als die
Granat sich in dem warme Raum entfallt hat, wars mucksmäuschestill
und de hast nur noch de ‚Schwarze Engel‘ durch de
Raum schweewe hörn. Ich wär am liebste im Erdbode versunke.
Ich konnt nur noch die Aache zumache und alles um mich erum ausblende.“
Der letzte Satz des Gedichtes ‚Die Nebensonnen‘,
aus Schubert‘s ‚Winterreise‘, flatterte mir
noch durch den Kopf: ‚Im Dunkeln wird mir wohler sein ...‘ Dann
baute sich in meinem Kopf ein solch mörderischer Druck auf,
dass ich mich gezwungen sah, umgehend sämtliche Ventile
zu öffnen. Mitleidlos und unaufhaltsam brach sich das innerliche
Vergnügen über das tragische Missgeschick des Freundes
Bahn. (...)
(...) „Komm nur rinn, Diedä“, stellte er blinzelnd
klar, dass er sehr wohl bei Trost und Sinnen war. „Ich
tu mich grad sammele. Montaachs brauch ich als länger, bis
ich voll do bin und tu mich so e bissche gedanklich moddiwiern!“
„
Dachte schon, du hättest eine schwere Nacht hinter dir,
aber mir geht’s montags meist ähnlich“, zeigte
ich mich verständnisvoll.
„
Awwer, do debei kanns aach schon emal passiern, dass ich voll
oidusel! Hock dich hie, ich mach gleich en Kaffee. Das is mer
nämlich emal an meim letzte Arweitsplatz passiert!“ Dankbar
nahm ich die Platzanweisung an. War ich doch sicher, dass sie
belohnt werden würde.
„
Ja, warum denn?“ lockte ich und war gespannt, was jetzt
kommen würde.
„
Ei, da muss ich weiter aushole, Diedä. Hab ich dir schon
emol verzählt, dass ich mei Träum steuern kann?“
„
Nein, nie“, antwortete ich wahrheitsgemäß.
„
Ei, wann ich im Bett lieche unn was Blödes träume tu
und wern do devon wach, dann mach ich die Aache grad widder zu
und steuer den Traum in e anner Richtung, verstehsde, unn träum
dann was Schönes.“
„
Ja und weiter, wie hängt das mit dem alten Arbeitsplatz
zusammen“, versuchte ich ihn auf Kurs zu halten, aber er
kam bereits von selbst wieder zurück zum Thema.
„
Ei ja, als ich do in der Ferma emol morjens mei ‚Andacht‘ gehalde
hatt, sei ich voll weggeduselt, awwer so richtich! Plötzlich
hör ich, wie die Dier offgeht und jemand erein kommt und
ich mach die Aache nur so en ganz winziche Spalt off und seh
mein Abteilungsleiter vor meim Schreibtisch stehn. Der kam sonst
nie zu mir ins Büro, ausgerechnet an dem Morje ...“
Jetzt war ich in höchstem Maße gespannt: „Ja
und was hast du gemacht?“
„
Ei ich hab versucht, den Traum noch schnell se steuern unn hab
die Aache grad widder zugemacht. Da war awwer nix mehr mit steuern,
der stand immer noch devor und wollt wisse, ob ich heut noch
emol zu mer käm. Ich hab dann was von Kobbschmerze verzählt
und das es mer gar ned gut ging. Ja, das tät er sehn, hat
er gesaacht un wanns mer widder besser gehn tät, sollt ich
emol zu em komme. Dann iss er enaus un hat die Tür hinner
sich zugeknallt. Später hat mich de Alfons, mein annern
Chef, zu sich gerufe unn hat gesaacht, dass das gar ned gut gekomme
wär“, schloss er das Kapitel Traumsteuerung und wandte
sich der Kaffeemaschine zu. Ich war aber dank dieser Sternstunde
des Traumtänzers bereits hellwach und brauchte eigentlich
kein Aufputschmittel mehr! (...)
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