Leseprobe

 

Rainer G. Gellermann



grünes band


der weg wandlos wanderbar
weggenarbt die todesangst
verwehte choreografie
des machtvollem gleichschritts
zwischen spitzwegerich und wiesensalbei

wortlos der ausgestoßene atem
von lebendigen bäumen
in wogendem grünen gleichmaß
sich selbst überlassen
der schlangengleich hinwindende kolonnenweg

im ostwind tanzen wolken im rudel
graugewaschene wachtürme
erstarrte orks werfen
schattenstrich statt schlussstrich
sonst nichts




Etosha


Landschaft grenzenlos.
Zwischen den Ebenen und dem Himmel
weht der Wind aus Nord.
Afrikawarm.

Ein Loch in der Wüste.
Zwischen den Schenkeln des Busches
glänzt Wasser im Mondschein.
Riecht schwarz.

Durst zwingt die Freiheit
zwischen die Zangen aus Angst und Gier.
Zieht Giraffen, Gazellen, Gnus und Hyänen
magnetisch ans Loch.

Im Scheinwerferlicht
zwischen Nichtrosen und Keinebuchen
schweben graue Fleischklöße.
Elefanten.

Arena in der Wildnis.
Auf mauerbewehrter Höhe
sitzen wir wie weiße Schatten. Genießen
die fehlende Mauer.

 

Das Jing, das Jang, das Jahr, der Gang


Der Tag, der Tang, die See, der Fang –
ein Wechselspiel der Bilder.
Ein Panta Rhei? Ein Regelgang?
Die Winde werden wilder.

Und du? Geh! Zeiten ändern sich! Ganz leis
die Wellen wachsen.
Der Fortschritt schreitet still im Kreis
und sucht nach seinen Achsen.

Die Nacht, das Riff, das Eis, es schliff
den Fjord. Jetzt musst es weichen.
Das Wasser greift mit stetem Griff
nach neuen grünen Reichen.

In Wirbeln dreht sich unversenkt
der Müll der Kontinente.
Poseidons Dreizack ist behängt,
ein modriges Plastikambiente.

Zerstört, zerrieben, feinst zerstäubt,
fließt Nanobrei durch Schlünde.
Von Fisch zum Netz, von Netz zum Tisch;
Geschmack hat tiefe Gründe.

Das Jing, das Jang, das Jahr, der Gang
der Zeiten, die sich wandeln.
Wo suchst du Schutz? Was macht dich bang?
Es bleibt noch Platz zu handeln!


Herbstanfang


Losgelaufen auf steinigen Wegen.
Die weißmarkierte Startlinie
mit bangem Herzklopfen überschritten
im Licht der aufsteigenden Einkommen.

Angekommen an der grauen Linie.
Unsichtbar im Asphalt des Alltagsweges.
Unhörbar im Pfeifen des Tinnitus.
Unfühlbar im Dunst des Zeitenwinds.

Schmerzlos zu überschreiten
ohne Brücke aus Beton oder Bast.
Dahinter der sichere Grund.
Einkommen bedingungslos.

Ich rente den weiteren Weg.
Auskommen dürfen, sollen, müssen
mit den Geschichten der Geschichte
und Warten auf den Winter.