Leseproben


Auszüge aus: Italien. Gefangen in Land und Liebe

von Alexander Frey

 

Kapitel 1

... Fast sechs Jahre dauerte dieser Krieg nun schon, wir hassten ihn alle, jeder wartete mit Sehnsucht auf sein Ende.
Aber wir waren schon glücklich, überhaupt noch am Leben zu sein. Immer wieder, wenn wir die Berichte im Radio hörten, fragten wir uns, welchen Sinn dieser Krieg noch habe. Nein, unser Einsatz in Italien war sicher kein Vergnügen und dennoch wollten wir nicht mit unseren Kameraden in den endlosen Weiten Russlands tauschen, vermochten wir uns Stalingrad kaum vorzustellen: Hunger, eisige Kälte, Schnee über Schnee, von der Zivilisation kaum berührte Landstriche und ein unerbittlicher Feind.
Der Kampf um den Berg und die Stadt Cassino war einer der härtesten Kämpfe dieses Krieges. Sicher nicht mit Stalingrad zu vergleichen, aber er stand ihm an Härte nicht viel nach.
Und doch, selbst unter den erbittertsten Kämpfen, bewahrte sich dieses Land seine immer gerühmte Schönheit, von den größten Dichtern aller Zeiten besungen.
Noch als Landser, mitten im Krieg und Kampf, konnten wir unsere Augen kaum davor verschließen.Vielleicht der einzige Wert dieser sonst so unerfüllten Zeit der verlorenen Jahre. Nicht ganz, zumindest nicht für alle, verloren. Alles ist Hoffnung unerschöpflicher Möglichkeiten. Wenigstens uns Jungen hat dieser Krieg für unser ganzes Leben geprägt, hat uns mehr über den Menschen in seinen Schwächen und Stärken, im Guten, wie im schier Unfassbaren, Unverständlichen gelehrt, als es die größten Weisen vermochten. ...


Kapitel 2

... Am 3.1.1945 hieß es plötzlich beim Appell: „Die Kompanie wird heute Abend um 22.00 Uhr verlegt.“
Ich war wie erstarrt. Das kam einfach zu überraschend, zu schnell, zu hart und zu plötzlich. Mir blieb nach meinem Dienst kaum Zeit, um Abschied zu nehmen.
Und wieder war ich zutiefst von meinen Gastgebern überrascht. Auch sie berührte diese Nachricht wie ein Schock. Emma lag im Bett. Als sie hörte, dass ich fort musste, war sie hellwach. Sie stand in ihrem schlichten Nachthemd in der Tür, die Augen weit aufgerissen, also wollte sie sagen, das stimmt doch nicht, das kann doch nicht wahr sein, mach keine Witze.
Flora lag bei der Nonna im Doppelbett, ihre Augen unter dem Bettzeug verborgen, weinte Herz erschütternd, genau wie Oma, die inzwischen aufgestanden war. Selbst der Opa kam aus seinem Zimmer, vorsichtig lauschend, worum es ging. Als er endlich begriffen hatte, was gespielt wurde, fand er kaum Worte. Seine knöchernen, abgearbeiteten Hände, die schon so viel erlebt hatten, unter anderem den Krieg mit Österreich, sie zitterten, fassten nach mir. Dann drückte er mir beide Wangen, als wollte er sagen, du bist noch zu jung zum Sterben, du darfst nicht weggehen, du musst erst ein Mann werden. Ich wusste, wie ihm zu Mute war. Ich hatte die Schlacht um Anzio-Nettuno mitgemacht. War auf dem Rückweg von Rom bis Perugia zu Fuß gelaufen. Hatte dann wieder bei Florenz gekämpft und fast alle Kameraden verloren und war selbst nur durch viel Glück am Leben geblieben. ...


Kapitel 4

... Laute Hilfeschreie in italienisch rissen mich aus dem Halbschlaf. Ich war sofort hellwach und spähte über den vor uns strömenden Fluss.
Es war morgens gegen 4.00 Uhr. Zwischen Dämmerung und Morgen waren nur schemenhafte Umrisse zu erkennen. Es war sehr kühl und feucht. Vom Flussufer stiegen leichte Dunstschwaden auf. Die Hilferufe kamen vom Fluss. Als sich meine Augen an das Halbdunkel gewöhnt hatten, erkannte ich eine Frau, die im Wasser auf einem Brett trieb. Das Brett war groß genug um sie zu halten, vor ihrem Kopf hielt sie einen Koffer, in dem wohl all ihre Habseligkeiten waren.
Weder ich, noch meine Kameraden, die inzwischen auch wach geworden waren, konnten der Frau helfen. Die reißenden Fluten des Stromes zogen sie so schnell an uns vorbei, dass es unmöglich gewesen wäre, sie zu erreichen. Selbst wenn wir ein Boot gehabt hätten, wäre es uns nicht gelungen, es so schnell klar zu bekommen. Und einen so guten Schwimmer, selbst wenn er es unter Einsatz seines Lebens versucht hätte, gab es wohl auf der ganzen Welt nicht.
Wir mussten hilflos mitansehen, wie sie weiter stromabwärts getrieben wurde und allmählich unseren Blicken entschwand. ...


Kapitel 15

... Schon am nächsten Tag begann unsere Rückreise nach Foligno. Das Wetter war angenehm. Wir befanden uns in bester Stimmung, von einem ständigen Drang nach Bewegung und Erleben erfüllt. Wir wollten sehen, erleben, was wir so lange entbehrt hatten. Alles schien uns neu, interessant und um so vieles schöner, als wir es aus der Zeit des Eingesperrtseins in Erinnerung hatten.
Was für uns früher selbstverständlich war, der Anblick einer schönen Landschaft, eines hübschen Mädchens, frei atmen zu können, wurde jetzt für uns zu einem echten bewussten Erlebnis. Wir wurden auf vier Mannschaften verteilt, nahmen hinten auf den Pritschen Platz und ließen uns den Wind um die Ohren wehen.
Unser Convoi war ziemlich zusammengeschrumpft. Er bestand außer aus diesen vier Mannschaftswagen nur noch aus dem Kü-chenwagen mit Feldküche, einem Werkstattwagen, einem Fahrzeug der englischen Wache und dem Jeep des Cäptns. Die Engländer hatten sofort erkannt, wer von uns gut Lkw fahren konnte und hatten die besten Fahrer an die Steuer der Mannschaftswagen gesetzt.
So ging es in Richtung Norden. Mit den wenigen Fahrzeugen kamen wir schnell vorwärts und die Städte Capua und Frosinone waren bald erreicht. Wir passierten eine Ortschaft nach der anderen, vorbei an blühenden Feldern, Obstplantagen, durch Busch und Wald, über Bäche und Flüsse. Es kam uns immer wieder vor, als sähen wir das alles zum ersten Mal.
Aber wir kamen auch immer wieder vorbei an Trümmern und Ruinen. An Ruinen aus Jahrtausenden. Beredte Zeugen einer bewegten Vergangenheit und Geschichte. ...