Leseprobe:


Anatol Benz

von Rainer Daus


Drei schwarze Limousinen fuhren vor, Blaulicht auf dem Dach, Mercedes und BMW. Die Türen gingen auf, heraus sprangen jeweils vier Männer in Schwarz, mit Sturmhauben auf dem Kopf, auch in Schwarz, die trugen Gewehre mit Zielfernrohr, verschwanden im Haus gegenüber, eilten Treppen hoch, waren dann auf dem Dach. Da postierten sie sich. Scharfschützen. Darunter auch Philipp Kraft. Einer der besten Scharfschützen des SEK. Was Kraft treffen sollte, traf er. Schon vier Leute hatte er plattgemacht, Geiselnehmer aus Usbekistan, Salafisten aus dem Irak, einmal eine junge Frau mit AK-47 aus Ankara. Anlegen, anvisieren, der Kopf erscheint im Fadenkreuz, Abzug drücken, vorbei. Exitus im Bruchteil einer Sekunde. Großkaliber eben.
Kraft legte an, stellte sein Zielfernrohr ein auf die richtige Distanz. Und erkannte plötzlich: Anatol Benz. Das gibt‘s doch nicht, dachte er, doch nicht der alte Benz! Den sollte er ausschalten mit seinem Gewehr? Wieso? Kraft erinnerte sich, als Benz noch Lehrer gewesen war an einem Gymnasium, er hatte Krafts Söhne unterrichtet in Physik, Informatik, Chemie, hatte seine Söhne erfolgreich geführt bis zum Abitur. Dann hatte Benz seine Frau verloren im letzten Jahr, Verkehrsunfall. Das hatte er gehört von einem, der mit Benz befreundet gewesen war. Danach war Benz seltsam geworden, hatte sich zurückgezogen aus allem, was das Leben war. Ach Benz, dachte Kraft, was machst du nur für einen Scheiß.
Kraft überlegte, wie der alte Mann da drüben in seiner Wohnung noch zu retten war. Aber er fand keine Lösung. Rüberzugehen, um mit Benz zu reden, ging ja nicht. Kraft war kein Psychologe, er war Scharfschütze beim SEK. Leute eliminieren, die eine Gefahr waren für die Öffentlichkeit, für das Leben von Unschuldigen, das war sein Job. Damit verdiente er sein Geld. Und er brauchte das Geld, schließlich hatte Kraft Familie, und die brauchte Milch und Butter und Speck.
„ Ziel erfasst“, sagte Kraft.
„ Dann kill die Sau!“, sagte der Einsatzleiter.
„ Aber warum?“, fragte Kraft.
„ Weil sich der Kerl da drüben in die Luft sprengen will. Der hat Sprengstoff im Haus. Wir haben da einen Tipp gekriegt aus Heilbronn. Da sitzt die Schwester von diesem Benz. Die hat gesagt, Benz wolle sich töten, und zwar mit TNT. Das können wir nicht zulassen. Sprengt sich der Alte in die Luft, fliegt gleich das ganze Haus mit in die Luft. Und das geht nicht. SO geht das nicht, selbst dann nicht, wenn man ein alter Mann ist und keine Lust mehr zu leben hat.“
„ Aber der Benz ist ein ganz lieber Kerl!“, sagte Kraft, „der tut niemandem was, der erschlägt nicht mal die Fliege an der Wand.“
„ Befehl ist Befehl“, sagte der Einsatzleiter. „Also mach‘s, Kraft, oder ein anderer macht‘s!“
„ Ich kann‘s nicht“, sagte Kraft, „ich muss passen bei dieser Aktion.“
„ Also macht‘s ein anderer aus unserem Trupp“, sagte der Einsatzleiter.
Und ein anderer Scharfschütze machte es. Job ist Job. Konkret: Zielobjekt erfassen, abdrücken, Kopfschuss, aus.
Anatol Benz fiel um.
Und vor der Tür warteten bereits zwei Männer mit der Zinkwanne in der Hand.