Bäuerliches Leben im
Jahre 1934
Reinhard Düsterhöfts Roman zeigt, wie sich
die Nazis etablierten
Ein Dorf in Norddeutschland nach Hitlers Machtergreifung: nach
und nach wandelt sich alles, um den neuen Herren dienstbar zu
sein und doch gibt es letzten Widerstand. Richard Rogge läßt
eine Fahne nicht Fahne sein und stürzt damit nicht nur sich,
sondern auch seine Mutter ins Unglück. Motiv um Motiv zeichnet
Reinhard Düsterhöft ein beklemmendes Bild in der die
soziale Wirklichkeit der Dorfgemeinschaft aufscheint, von Prügeleien
vor dem örtlichen Gasthof bis zu versteckten Liebesbeziehungen.
Die Diskussionen unter den reichen Herrschaften auf dem Gutshof
finden darin genauso Platz wie der Lebenswandel der Anni Haider,
die am Rande des Dorfes in einer notdürftigen Hütte
kampiert. Der alte Lehrer Wilhelm Dörbrandt tritt in Rente,
doch der Neue ist strammer Parteigänger der NSDAP. Rücksichtslos
setzt Bernhard Heinrich die Zeichen der neuen Zeit durch - gegenüber
Fahnenschändern räumt er schon gar keine Milde ein.
Dörbrandt dagegen wird nur Mitglied der neuen Partei, weil
seine bisherige Partei von der NSDAP geschluckt wurde. Doch er
gerät zum Opfer seines eigenen Anstands. Was ist geschehen?
Am mythischen Hundeberg passiert es. Die Alten im Dorf wußten
wahre Schauergeschichten zu erzählen von den Hunden, die
sich dort aus den geplünderten Dörfern im 30-jähigen
Krieg versammelt hatten. Die Braunhemden der umliegenden Orte
trafen sich, um in diesem Landstrich ihre Übungen abzuhalten.
Feinde sollten aufgespürt werden. Doch einem Kameraden wird
etwas langweilig dabei, weil sie von den anderen stundenlang
nicht aufgespürt werden. Gerade dann muß jene Alte,
Anni Haider, durch das Luch streifen. Allerlei exotische Vorwürfe
ihr gegenüber sind im Dorfgespräch, ein Schuß fällt
und ist nicht mehr rückgängig zu machen. Wie sollen
die braunen Kämpfer mit dem Mord umgehen? Zu viele sind
Ohrenzeuge der Tat geworden. Den ehemaligen Lehrer Dörbrandt,
der gerade den Zug der Kraniche beobachtet hat - Vögel zu
sichten ist sein Hobby - hatten sie dabei noch nicht mal einkalkuliert.
Doch was sollte Dörbrandt nun tun? Guter Rat schien teuer,
meinte auch der Pastor des Dorfes, mit dem er eng befreundet
war und der nun Angst hatte um seinen Freund. Doch das Unvermeidliche
passiert. Auf einer Parteiversammlung stellt Dörbrandt Fragen,
die er besser für sich behalten hätte. So beginnen
die Mühlen zu mahlen, bis er am Ende unversehens auf Richard
Rogge treffen wird, den er einst nicht genügend beigestanden
hatte bzw. beistehen konnte, als es um das hakenbekreuzte Stoffstück
ging.
Der Autor des Romans zeigt auf, die durchschlagenden Erfolge
zu Beginn der Nazizeit lassen sich nur erklären, wenn man
begreift das der Faschismus an tief verwurzelte Denk- und Verhaltensweisen
im deutschen Volk anknüpfen konnte. Dieser Punkt dürfte
besonders wichtig sein, will man heute rechtradikalem Gedankengut
und anderen totalitären Optionen den Weg abschneiden. In
einem Interview bestätigte Reinhard Düsterhöft
meinen Verdacht, daß dem Schreiben intensives Quellenstudium
vorausging. Er las Ausgaben des Völkischen Beobachters und
diverse Nazi-Literatur, um sich ein realistisches Bild machen
zu können, wie die Gesellschaft damals sozialpsychologisch
wirklich funktionierte.
Zugleich entführt der Roman in eine bäuerliche Welt,
die heute schon fast verschwunden scheint. Da müssen Kühe
gemolken werden und diverse Gewerke erstehen wieder auf, Wiesen
sind zu mähen. Der Roman spiegelt die damals noch langsameren
Rhythmen wieder, in denen sich die Lebensbahnen bewegten. Doch
unaufhebbar zieht ein Riß durch die Dorfgemeinschaft und
vergiftet immer mehr die Atmosphäre. Die Gestapo wird zur
real erfahrbaren Größe, ebenso nationalsozialistischer
Aufstieg für Bauernsöhne in weiterführenden Bildungseinrichtungen.
Der Landstrich selbst ist fiktiv, doch einige Erlebnisse sind
tatsächlich Begebenheiten entlehnt. Fazit: Düsterhöft
ist ein lesenwerter und aufklärender historischer Roman
gelungen. Mar.
Reinhard Düsterhöft: Ferner Vögel leiser
Schrei. Roman, Dorante Edition 2008, 256 Seiten, 14,95 €
Neues Deutschland vom 25.9.2008
|